Karl-Heinz Meisters

Diplompsychologe

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Randbemerkungen zu einer impliziten Gesellschaft

Aphorismen und sehr kurze Geschichten

Es gibt drei Arten von Psychologen: solche, die zählen können und solche, die es nicht können.

Spätestens wenn man die Gleichheit aller vollständig umgesetzt hat, werden wir beginnen, uns nach Gleichberechtigung zu sehnen.

Herr P. träumte davon, es einmal besser zu haben als seine Kinder.

Wer das Ziel verfolgt, einen Mißstand zu bekämpfen, riskiert dadurch, daß dieser zu seinem Unterziel avanciert.

Im Rahmen des Sexualkundeunterrichtes an einer städtischen Grundschule faßten drei Kinder schließlich den Mut, offen über ihre Heterosexualität zu sprechen.

Durch Sparen kann man äußerstenfalls erlösen, was man derzeit ausgibt.

Das Gehirn als den Ausgangspunkt von Geist anzusehen, vertauscht Ursache und Wirkung.

Die Wahlbeteiligung mißt die wahrgenommene Nähe zwischen der Quelle der Macht und dem Gegenstand der Abstimmung.

Seine Genialität wäre Herrn P. nicht lange verborgen geblieben, wenn er sich ein wenig Muße erlaubt und eine Zeitlang aufgehört hätte, permanent etwas mäßig Wichtiges zu erledigen, was er aber nie erwog, weil er nicht an sie glaubte.

Herr P., der stets nach dem Grundsatz „Lieber arm aber glücklich als reich und unglücklich!“ gelebt hatte, erlitt den ersten größeren Schreikrampf seines Lebens im hohen Alter beim Anblick einer Vierfeldertafel.

Nachdem Philosophen und Theologen bezüglich der Frage nach dem Jenseits menschlichen Lebens für nicht mehr zuständig erklärt wurden, hat der moderne Mensch die Grenzen des Lebens auf beiden Seiten der Zeitachse derart weit in die biologische Existenz hinein verlagert und das Jenseits gleichzeitig auf den so entstehenden vermeintlich leblosen Zeitraum des Lebens reduziert, daß mancher, gefragt nach dem Zustand vor dem menschlichen Dasein, an Ultraschallbilder und beim Leben nach dem Tod an intensivmedizinische Apparate denkt.

Flache Hierarchie: Alleinherrscher mit darunterliegender steiler Hackordnung.

Der Hinweis, man müsse an etwas glauben, damit es seine positive Wirkung entfalte, bestätigt eine Wahrheit – meist in der Absicht, sie zu diskreditieren.

Zwei Nachbardörfer profitierten stark von ihrem Propheten­austausch­programm, zumal sich die beiden Seher stets einig waren.

Der Glaube, mittels des Glaubens seien Berge keinesfalls zu versetzen, macht diese zeitweise zur Immobilie.

Das Seminar „Angeln für Anfänger“ hatte stets deutlich weniger – und zudem regelmäßig wechselnde – Teilnehmer als die Veranstaltung „Wo gibt es heute kostenlosen Fisch“, die eine lange Warteliste für Interessenten führte, zumal sie auf ein langjähriges Stammpublikum zählen konnte und ihre Kosten vollständig übernommen wurden.

Die Existenz einer Vergangenheit läßt sich empirisch nicht beweisen, die einer Zukunft erst, wenn sie Vergangenheit geworden ist, was natürlich wieder die erwähnten methodische Probleme mit sich bringt. Dazwischen liegt die Gegenwart, die, da deren Dauer strenggenommen unendlich klein ist, eigentlich also ebenfalls nicht existiert. Und nun?

Daß der Glaube in Form von Befürchtungen selbst gegen einen sehr starken widersprechenden Willen meist die Oberhand behält, wird sofort klar, sobald man mit einem weißen Hemd bekleidet Spaghetti mit Tomatensauce verspeist.

Das Gegenteil von „Opfer“ ist nicht „Täter“.

Die moderne Technologie erlaubt es, Flugkörper derart exakt auf ein Ziel zu lenken, daß man damit ein Brot direkt vor einem Hungernden ablegen kann.

Ein Problem entsteht durch Untergliederung der Perfektion in ebendieses und seine Lösung.

Aufgrund einer Tücke der Gravitation fällt nur demjenigen etwas in den Schoß, der sich gelegentlich hinsetzt.

Nach Wiederherstellung seiner „Work-Life-Balance“ blieb Herrn P. nun endlich Zeit, auch an seinem Gleichgewicht zwischen Freizeit und Tod zu arbeiten.

A: Wie läuft es bei der Therapie von Frau P., lieber Kollege?
B: Die ist beendet. Sie ist wieder vollständig gesund.
A: Gesund? - GESUND!? (lacht verunsichert) - Nein im Ernst, erzählen sie schon! Was ist mit ihr?

Ohne „Licht“ hätten sich Augen nie entwickelt, ohne Geist niemals Gehirne.

Wem der Schuhriemen immer just dann reißt, wenn er gerade in Eile ist, ist wahrscheinlich immer in Eile.

Haben wir ein Problem einmal als unlösbar beiseite gelegt, werden wir dessen Lösung, sobald wir auf sie stoßen, für ein weiteres Problem halten.

Eine Idee, die sich in einer Fernsehdiskussion erfolgreich gegen ihre Kritiker verteidigen ließe, ist noch nicht groß genug.

Größter Argwohn sei angebracht bei Schreiben, in denen Sätze mit „Gerne“ beginnen.

Die Verheißung, das Reich Gottes sei nahe, als Weissagung aufzufassen verstellt den Blick auf die Kraft einer räumlichen Interpretation.

Wer sein Unterbewußtsein „Innerer Schweinehund“ nennt, darf sich nicht wundern, wenn er nicht viel Spaß mit ihm kriegt.

Vignette in Seitentitel und Aufzählungszeichen in Listen basieren auf einer Abbildung aus: All'Eccellenza Reverendissima di monsignor Giuseppe Marello novello vescovo di Acqui nel dì del faustissimo ingresso alla sua sede 16 giugno 1889. Acqui Terme, 1889 - Seite 5. Veränderungen durch den Autor. Lizenz: gemeinfrei.
Schlußvignette nach: Heinrich XXVIII. Prinz Reuß zu Köstritz (1836). Der korrekte Diener. Handbuch für Herrschaften und deren Diener. Berlin 1900: Paul Parey. - Lizenz: gemeinfrei.