Veröffentlichungen

In zehn Jahren
„Sie sind jetzt genau so alt, wie Sie in zehn Jahren noch einmal sein möchten.“
Ein Satz, schlicht im Klang und radikal in seiner Wirkung. Er macht die Gegenwart zum Brennpunkt – denn dieser Moment, den wir gerade erleben, ist es, den wir später als wertvoll erkennen werden. Nicht morgen, nicht gestern – jetzt. Er schenkt der Gegenwart Bedeutung, indem er sie mit zukünftiger Sehnsucht verbindet. Das, was wir heute oft übersehen, ist morgen unser Wunsch. Genau darin liegt sein Zauber – und seine Mahnung.
Denn der Satz ist ein zweischneidiges Schwert. Während er uns erinnert, dass dieser Moment kostbar ist, offenbart er gleichzeitig eine Gewohnheit: die ständige Rückschau. Wer ihn hört, könnte im selben Augenblick denken: Ach, wäre ich doch wieder zehn Jahre jünger. Und schon entgleitet die Gegenwart – weggeschoben von einer Sehnsucht, die sich an das Vergangene klammert.
Ein Prinzip der Huna-Philosophie sagt: Energie folgt der Aufmerksamkeit. Wenn unsere Aufmerksamkeit im Gestern verweilt, zieht unsere Energie dorthin. Doch dort kann sie nichts bewirken. Denn die Vergangenheit ist nicht bereisbar – sie ist vorbei. Was wir für Vergangenheit halten, sind gegenwärtige Erinnerungen. Wir richten unseren Geist also nicht auf ein Damals, sondern auf die inneren Bilder, die jetzt aktiv sind.
Und genau hier liegt der Knackpunkt: Auch diese Bilder gehören zur Gegenwart. Aber solange wir sie nur betrachten, bleibt der Geist machtlos. Erst wenn wir beginnen, etwas mit ihnen zu tun – sie zu befragen, zu wandeln, zu heilen –, entsteht Wirkung. Ebenso wenig können wir in die Zukunft reisen. Was wir dort sehen, sind gegenwärtige Vorstellungen von dem, was kommen könnte. Unser Geist bleibt stets im Jetzt – alles andere sind Projektionen. Und darum ist der Moment, den wir gerade erleben, nicht nur der einzige, den wir wirklich besitzen. Er ist der einzige Ort, an dem wir etwas bewirken können. Wer das versteht, hört den Satz nicht als Trost, sondern als Ruf. Zurück in die Gegenwart. Zurück zur eigenen Wirkungskraft. Damit aus dem Jetzt kein späteres Vermissen wird – sondern ein gelebtes Dasein.
Denn die Hölle beginnt dort, wo wir zurückblicken und erkennen, dass wir nicht gelebt haben – und es nicht mehr ändern können. Und vielleicht liegt etwas Himmlisches darin, zurückzublicken, ohne zu bereuen. Weil wir anders sehen – nicht mit Schärfe, sondern mit Frieden.
Die nächsten 24 Stunden liegen nun vor Ihnen. – Wie möchten Sie sie verbringen – damit Sie später nicht bedauern, sondern still sagen können: Ja, genau so war es gut.

Ein Hoch auf die Friseure und Taxifahrer
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, ich möchte euch aufrichtig danken. Und das meine ich ernst. Lasst mich erklären, warum:
Jährlich nehmen etwa 2,6 % der Bevölkerung Psychotherapie in Anspruch. Weitere 0,3 % suchen Coaching bei nichtheilkundlich tätigen Psychologen. Zusammengenommen ergibt das 2,9 % professionelle psychologische Begleitung. Und was ist mit dem Rest?
Was ist mit den 97 %, die weder krank sind noch Bereichsleiter mit Fortbildungswunsch? Die 97%, die dennoch Fragen haben, Sorgen, Sinn suchen? Wohin wenden sich diese Menschen? – Richtig! An euch!
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, ihr seid der niedrigschwellige Zugang zur Alltagspsychologie. Ihr hört zu, ohne Fragebogen. Ihr gebt Rückmeldung, ohne Therapieauftrag. Ihr bringt uns sicher zum Flughafen – und manchmal auch auf neue Gedanken. Ihr sorgt für Ordnung auf unserem Kopf und gelegentlich auch darin. Manchmal reden wir mehr mit euch als mit Therapeuten oder Freunden.
Ihr sprecht nicht als Psychologen – ihr sprecht als Menschen. Und oft seid ihr dabei klarer, ehrlicher und präsenter als manches professionelle Setting.
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, ihr behandelt uns anonym. Ihr verlangt keinen Klarnamen, keine Krankenkassenkarte, kein Überweisungsschein. Wir kommen einfach vorbei, erzählen, laden ab. Und wenn wir zahlen – dann geht das in bar!
Kein Protokoll, keine Akte, keine Spuren. In meiner Zunft ist das meist utopisch. Im Gesundheitssystem? Völlig undenkbar!
Was ihr bietet, ist das, worum sich viele Systeme vergeblich bemühen: Diskretion, Nähe und ein Ort, an dem es in Ordnung ist, einfach Mensch zu sein.
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, ihr übernehmt eine Grundversorgung, die euch niemand zuschreibt – aber jeder nutzt. Ihr seid da, wenn man mit niemandem sonst reden kann. Ihr fragt, wenn andere schweigen. Ihr schweigt, wenn Worte zu viel wären. Ihr haltet den Raum, ohne Ritual. Und wer weiß, wo mancher Mensch heute stünde – ohne euch?
Aber ihr wart zur Stelle: Mit dem Blick im Rückspiegel, mit der Hand am Kamm und mit eurem offenen Ohr im Alltag. Ihr habt mehr Leben mitgestaltet, als man zählen kann.
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, wir stehen Seite an Seite. Es ist mir eine Ehre, gemeinsam mit Euch zu wirken. Ich kann zwar keine Haare schneiden und verfahre mich auch manchmal. Aber mein Beruf – und meine Passion ist die Psychologie. Seit dreißig Jahren. Und das Beraten ist meine große Liebe. Auch ich arbeite anonym und diskret – aus Überzeugung. Und auch bei mir geht bar – oder Escrow. Wir wirken auf unterschiedliche Weise. Aber die Haltung, mit der wir das tun, ist auffallend ähnlich: offen, respektvoll – menschlich und diskret.
Liebe Friseure, liebe Taxifahrer, liebe Fußpfleger, liebe Hauswirtschafter, liebe Reinigungskräfte, liebe Kioskbetreiber, liebe Pflegehelfer, liebe Barkeeper, liebe Kellner, liebe Empfangsmitarbeiter, liebe Busfahrer, liebe Paketboten, liebe flüchtigen Bekannten im Zug:
Ich danke Euch aufrichtig.
Ihr gebt Halt. Ihr zeigt Nähe. Ihr handelt fürs Leben – nicht fürs Protokoll.
Lasst uns gemeinsam die Stellung halten! Bis die Psychologie das diskrete Gespräch wiederentdeckt, aus dem sie geboren wurde!
Quellen zur Nutzung von Psychotherapie und Coaching in Deutschland:
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Psychotherapie:
Laut Bundespsychotherapeutenkammer nehmen jährlich rund 2,2 Millionen Menschen in Deutschland eine ambulante Psychotherapie in Anspruch – etwa 2,6 % der Bevölkerung.
Quelle: BPtK-Publikationen | Psychotherapie-Versorgungsbericht (PDF) -
Coaching:
Der deutsche Coaching-Markt zählt laut Deutschem Bundesverband Coaching (DBVC) rund 9.000 Coaches. Hochgerechnet ergibt sich eine jährliche Fallzahl von etwa 0,2–0,3 % der Bevölkerung.
Quelle: DBVC – Der Coaching-Verband | Coaching-Marktanalyse 2023
Die moderne Psychologie nahm Abstand von der Introspektion, nicht so sehr um exaktere Ergebnisse zu erhalten, sondern weniger beunruhigende.
Nicolás Gómez Dávila

„Ich freue mich für dich“
Sprache mit doppeltem Boden
Zwei Frauen, ein Tisch, ein Nachmittag im Café. Die eine erzählt von einer neuen Beziehung, warm und voller Hoffnung. Die andere lächelt, hört zu, sagt: „Ich freue mich für dich.“ Ein gewöhnlicher Satz. Fast makellos, Wort für Wort. Und doch passiert etwas Seltsames: Manchmal fühlt sich der, der ihn hört, nicht gut. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
Das kleine Wörtchen „für“ legt die Freude auf die andere Seite des Tisches. Es anerkennt, aber es teilt nicht. „Mit“ würde Nähe schaffen. „Für“ hält Abstand. Das ist höflich und in Ordnung. Aber wenn man genau hinhört, verrät es manchmal noch etwas: Die eigene Freude fehlt. Und manchmal steckt in dieser Lücke ein leiser Stich – Neid, Traurigkeit, Unsicherheit. Unser Bewusstsein liest den Satz korrekt: Ein Glückwunsch. Keine Beleidigung, keine Härte. Deshalb findet eine rein bewusste Analyse oft nichts Auffälliges. Das Unterbewusste jedoch ist schneller. Es hört Tonfall, Tempo, Atem. Es merkt, dass etwas nicht ganz passt. Und es versteht: Da ist wenig Mitfreude, vielleicht sogar Neid. Genau das kann weh tun.
Hier liegt die Diskrepanz: Der Kopf sagt „alles gut“, der Bauch sagt „irgendetwas stimmt nicht“. Viele kennen dieses Gefühl, können es aber nicht benennen. Sobald wir wissen, woran es liegt, wird das Gefühl verständlich. Und das hilft. Wer sprachlich sensibilisiert ist, kann solche Signale lesen – ohne andere bloßzustellen und ohne selbst durchsichtig zu werden. Man erkennt, wann eine Formulierung mehr verrät, als sie will. „Ich freue mich für dich“ ist so ein Satz. Er klingt diskret, kann aber ungewollt offenlegen, was man lieber verborgen hätte: Distanz, Vergleich, Neid.
Für Menschen, die Diskretion schätzen, ist das ein nützliches Wissen. Es ermöglicht, bewusster zu sprechen und gelassener zu hören. Bewusster sprechen heißt: Formulierungen wählen, die zur eigenen Haltung passen. Gelassener hören heißt: Das eigene Gefühl ernst nehmen, ohne dem anderen Absicht zu unterstellen.
Am Ende geht es um Synchronität: Das Unterbewusste versteht oft zuerst, das Bewusstsein zieht nach. Wenn beides zusammenkommt, weiß man, warum ein freundlicher Satz weh tun kann. Man kann das einordnen und klug reagieren – ruhig, klar, ohne Drama. Genau darin liegt der Mehrwert: lesen zu können, ohne gelesen zu werden, und Sprache so zu nutzen, dass sie schützt, nicht verrät.

Weckruf
Betrachtungen zu allerlei Schneidwerkzeug
Psychologische Beratung jenseits der Heilkunde ist wie ein Schweizer Taschenmesser: vielseitig, beweglich, erste Wahl für viele Lebenslagen. Die Psychotherapie ist wie ein Skalpell: präzise, spezialisiert, gesetzlich reguliert. Beide Werkzeuge haben ihren Platz – aber sie sind natürlich nicht dasselbe.
Es war einmal ein Taschenmesser, das in eine Welt voller Skalpelle geraten war. Die Skalpelle wurden in dieser Welt bewundert, denn es war ja ihre Welt – sie waren scharf, glänzend, medizinisch zertifiziert. Das Taschenmesser fühlte sich dort unterlegen.
Also versuchte es, ein Skalpell zu werden. Es rieb seine Klinge an Steinen, um sie zu schärfen, versteckte seine anderen Werkzeuge, um von Weitem wie ein Skalpell auszusehen. Die Säge, die Pinzette, die Lupe und die kleine Taschenlampe – alles wurde unsichtbar.
Es wollte zumindest ein drittklassiges Skalpell sein. Aus der Ferne mit einem echten verwechselt werden. Doch je mehr es sich anpasste, desto stumpfer wurde es. Die nicht genutzten Funktionen gerieten in Vergessenheit und rosteten schließlich sogar ein.
Liebe Taschenmesser da draußen – Ihr könnt und dürft alles, außer operieren. Ihr seid vielseitig, beweglich, kreativ. Ihr leuchtet, greift, sägt, öffnet, haltet zusammen.
Hört auf, euch zu verstecken. Hört auf, euch zu verbiegen, nur um genau die zehn Prozent auszuführen, für die ihr nicht geschaffen wurdet. Die Welt braucht euch mehr denn je – eure neunzig Prozent. Hinter euch stehen Jahrtausende von Erkenntnisweg. Die Welt fragt sich gerade wo ihr seid, und ob sie es ohne euch überhaupt schaffen kann.
Wacht auf und seid stolz auf euch – so sehr, dass die ersten Skalpelle bald anfangen, sich als Schweizer Taschenmesser zu verkleiden.
Die Vielfalt psychologischen Wissens liegt mehrheitlich außerhalb der Heilkunde und durchdringt längst unsere Welt: in Werbung, Industrie, Diplomatie und Politik. Es formt Märkte, beeinflusst Entscheidungen, gestaltet Macht und entscheidet mit über Krieg oder Frieden. Und doch bleibt es dem Einzelnen erstaunlich unzugänglich. Die Psychotherapie hat andere Aufgaben und gesetzlich klar definierte Grenzen. Nur die psychologische Beratung kann diese Lücke schließen und dem Individuum eine Tür zur Vielfalt psychologischer Erkenntnis öffnen. Das geht nur, wenn die Psychologische Beratung nicht länger versucht, von den akademischen Krümeln zu leben, die von Tisch der Heilkunde zu Boden fallen. Es ist Zeit, sich selbstbewusst aufzurichten – und ein gigantisches Feld endlich zu bestellen.
Beratung ist keine Therapie light – sie ist Expertise pur. In der öffentlichen Versorgung klafft eine Lücke: Menschen suchen Orientierung, Entwicklung, Klärung – und finden oft nur Therapieplätze mit monatelanger Wartezeit. Dabei geht es nicht immer um Heilung. Es geht um Lebensthemen, Entscheidungen, Rollen, Sinn. Beratung könnte hier glänzen. Doch zu oft inszeniert sie sich als Beinahe-Therapie. Mit heilendem Gestus, therapeutischer Sprache und dem impliziten Versprechen, „fast genauso gut“ zu sein. Das ist ein Missverständnis – und ein strategischer Fehler. Denn wer sich wie Therapie präsentiert, wird auch wie Therapie bewertet. Und verliert: im Preis, im Vertrauen, in der Positionierung. Ich plädiere für ein selbstbewusstes Umdenken. Beratung ist kein Ersatz – sie ist ein eigenständiges Format mit eigener Tiefe, eigener Methodik und eigener Zielgruppe. Meine Analyse zeigt: 97 % der deutschen Bevölkerung nurzt weder Heilkunde noch Coaching. Ein gigantischer Markt. Denn viele von diesen brauchen Klarheit, Resonanz, Perspektive. Genau hier liegt die Stärke der Beratung – wenn sie sich traut, sie zu zeigen.